12.11. – 23.11.2016
Wir befanden uns immer noch am Titicacasee, jedoch nun auf der Seite von Bolivien. Der Grenzübertritt war kurz und knapp, kaum eine Stunde dauerte die Prozedur für die Ausreise auf peruanischer Seite und die Einreise nach Bolivien. Nur wenige Kilometer weiter stellten wir den Motor bereits wieder ab – wir hatten unseren ersten Stopp erreicht: Copacabana. Hier gibt es zwar keine Samba tanzenden Brasilianerinnen, dafür einen kleinen, hübschen Wallfahrtsort, sanft eingebettet zwischen den Bergen, direkt am Titicacasee.
Der längste Kickertisch
und direkt daneben mit 24 Lokalen den längsten Trucha-Stand der Welt
Bolivien´s gut gebaute Cholitas
Inka-Götter
Wir schlenderten über die belebte Strandpromenade und liessen uns natürlich leckere Forellen schmecken. Der Frosch parkte keine 10 Meter vom Ufer entfernt und zusammen mit einer kleinen Familie aus Kanada verbrachten wir ein paar sehr entspannte, heisse Tage bei strahlendem Sonnenschein und eisig kalten Nächten. Von der Regenzeit, die uns nur ein paar Kilometer entfernt in Peru noch jeden Nachmittag in den Laster verbannte, war keine Spur mehr.
Die hintere Bremse machte mal wieder Probleme und so zogen wir durch die Gassen auf der Suche nach einer Werkstatt. Leider ohne Erfolg. Aber genau deswegen waren wir ja in Copacabana: Die Attraktion des Ortes ist die Autoweihe an der grossen Basilika in der Ortsmitte. Von weit her kommen die Menschen angereist um ihr Fahrzeug weihen zu lassen: Wer braucht da noch einen Mechaniker? Am frühen Vormittag reihten wir uns brav hinter die schon vor der Kirche Schlange stehenden Autos ein und hatten die Qual der Wal. Girlanden, Blumensträusse, bunte Plastikschmetterlinge, Euro-Geldbündel und vieles mehr stand zur Auswahl um unser Zuhause festlich zu schmücken. Wir liessen der Verkäuferin freie Wahl und in kürzester Zeit verwandelte sich der Frosch in ein buntes Hippie-Mobil.
Wir waren mal wieder die Attraktion. Neugierige Touristen drängelten sich um uns herum, liessen sich vor unserem Laster fotografieren.
Die Cholitas umringten stattdessen wieder den kleinen Mexikaner
und Thorben durfte für das kolumbianische Fernsehen ein Interview geben.
Nachdem der Priester seinen Blecheimer wieder aufgefüllt hatte, wurde es ernst. Vor der geöffneten Motorhaube sprach er sein Gebet und mit dem heiligen Wasser wurde er von aussen und innen besprengt, auch die Fahrerhände wurden nass.
Anschliessend tränkte Thorben die Reifen mit Alkohol und die Stossstange mit Chicha. Zum Abschluss noch ein paar Böller unten drunter geschmissen und die Reise konnte weitergehen.
Der Titicacasee gab alles und zeigte sich von seiner schönsten Seite. Kleine Inseln im glitzernden blauen Wasser und im Hintergrund schneebedeckte Sechstausender.
Dann war auf einmal die Strasse zu Ende: Stattdessen dümpelten reihenweise schon sehr in die Jahre gekommene Holzleisten im Wasser. Bei genauerem Hinsehen stellten sich diese Latten als Fähren heraus. Wir vertrauten unsere 9 Tonnen dem Bretterverschlag an und keine 10 Minuten später erreichten wir sicher das gegenüberliegende Ufer.
Im stetigen Wechsel gute Strassen
gar keine Strassen
und zwischendrin unzählige Brücken oder leere Plazas, die kein Mensch braucht geschweige denn benutzt.
Wir näherten uns La Paz, der höchstgelegensten Millionenstadt der Welt: Kommt man mit dem Flugzeug auf dem mit 4.050 Metern höchstgelegensten Flugplatz der Welt an, muss der Kapitän vor dem öffnen der Türen die Sauerstoffmasken in der Kabinendecke blockieren, da der Luftdruck so niedrig ist und diese sonst eine Notlage vermuten und den Passagieren auf den Kopf fallen würden. Wir hingegen steckten bereits 30 Kilometer vorher im Stau und schaukelten durch die Kraterlandschaften El Alto´s. Auf 4.061 Metern leben hier die ärmsten von La Paz, weit abgelegen vom Zentrum und immer den kalten Hochlandwinden ausgeliefert. Erst mit Einbruch der Dunkelheit erreichten wir den Canyon des Rio Choqueqapu mit Blick auf den mächtigen, schneebedeckten 6.439 Meter hohen Illimani und seinen seinen 3 Gipfeln, rollten wir in Richtung tiefsten Punkt der Stadt auf 3.100 Metern in den windgeschützten Talkessel.
In La Paz einen Stellplatz mit einem grossen Fahrzeug zu finden ist nahezu unmöglich. Am Stadtrand, mitten im Valle de La Luna machte uns das Einfahrtstor zum Campground wegen 5 Zentimetern Höhe einen Strich durch die Rechnung. Der Laster musste draussen bleiben und wir schliefen seit langen einmal wieder ausser Haus. In einem einfachen kleinen Häuschen inmitten der schroffen Felsen.
Wir genossen den Luxus von 10 Quadratmetern, 3 grossen Betten und dem Frühstück, dass direkt vor die Tür geliefert wurde
Für die Stadtbesichtigung liessen wir den Laster stehen und fuhren mit dem Taxi zur Seilbahn. Diese kurze Fahrt zeigte uns, dass es eine weise Entscheidung war – Dauerstau und chaotischer Verkehr von früh bis spät. Erst vor 2 Jahren wurden die ersten 3 Linien eröffnet und dienen zur Verkehrsberuhigung und zum Massentransport. Da in La Paz kein U-Bahnsystem möglich war, geht es eben über die Stadt. Die von einer österreichischen Firma gebaute Seilbahn beförderte uns schnell und bequem einmal quer über die riesige Stadt und bescherte uns ein atemberaubendes Panorama auf umliegenden Sechstausender, die an den Berghängen klebenden rotbraunen Lehmziegelhäuser der Armen, Wolkenkratzer und Luxusvillen der Reichen, in deren Vorgärten quasi die Pfeiler stehen. Das Seilbahnsystem ist perfekt ausgeklügelt und die Bahnen sind mit verschiedenen Farben markiert um einen die richtige Richtung anzuzeigen. Wir stiegen mehrmals um bis wir nach einer Stunde das Zentrum erreichten.
Hinter der Kirche an der Plaza San Francisco ging es steil hinauf in die Einkaufsstraßen mit den unterschiedlichsten Märkten.
In der „Zaubergasse“ bieten „Kräuterhexen“ geheimnisvolle Pülverchen und Mittelchen gegen alle denkbaren Krankheiten und bösen Geister an. Hast Du jemanden dessen Herz Du erobern willst? Gibt es ein Paar, das Du auseinander bringen willst? Leidest Du an Potenzproblemen oder läuft das Geschäft schlecht?
Getrocknete Lama-Embryos für Gottes Segen – arbeitet man Sie in den Rohbau des neuen Hauses ein. Auf dem Hexenmarkt ist alles möglich!
Die Coca-Blätter gibt es bereits fertig abgepackt
und werden an jeder Ecke gekaut
Zwischendrin findet man auch immer wieder Dinge des normalen Lebens. Inmitten von Kloschüsseln und Fliesen wird Gemüse verkauft
Oben drüber Röcke für Cholita.
Lautstark werden die Waren angepriesen
Auf dem Mercado Negro, dem Schwarzmarkt, gibt es Diebesgut aller Art. Wir schlängelten uns durch Hunderte Stände von gefälschten Markenjeans, vorbei an Bergen von Schuhen bis wir in der elektronischen Abteilung landeten. Hier war die Stimmung weniger heiter, und das Diebesgut wurde teilweise gut versteckt angepriesen. Aber trotzdem alles vollkommen legal. Hier sollte man vorsichtshalber seine Wertsachen gut versteckt halten oder besser gar nicht mitführen.
Wir verliessen La Paz Richtung Yungas – die Täler zwischen Altiplano und dem Amazonas – und arbeiteten uns im Schneckentempo über einen 4.300 Meter hohen Pass, liessen Strassensperren, Mautstationen und Drogenkontrollen über uns ergehen, um auf der anderen Seite auf nur noch 1.700 Metern im subtropischen Coroico zu landen.
Wir tauchten in eine Landschaft ein, die das komplette Gegenteil ist von der kargen Tundra des bolivianischen Hochlands: Bis weit über die Hänge erstreckte sich der Bergnebelwald. Dort bereiteten wir uns seelisch auf den kommenden Tag vor und gingen früh zu Bett um die Tagesetappe um Punkt 7 Uhr zu starten: Den Camino de la Muerte. Dies ist die alte Verbingungsstraße zwischen La Paz und Coroico, besser bekannt als „Todesstrasse“. Die alte Strecke wird in vielen Reiseführern als tödlichste Strasse der Welt bezeichnet, die sich unbefestigt, in engen steilen Serpentinen ohne Leitplanken an den Berghängen windet. Jährlich verunglücken auch heute noch hunderte, trotz seit 10 Jahren bestehender Umgehungsstrasse. Etliche Leichen liegen immer noch im dichten Dschungel und können nicht geborgen werden. Ungefährlicher ist es, die Strasse von unten beginnend zu befahren, da sich das Fahrzeug bei entgegenkommenden Fahrzeugen immer auf der Hangseite befindet. Entspannender ist es, vor 7 Uhr oder nach 14 Uhr zu starten, um den Mountainbikern, die in grossen Gruppen den Berg herunterrasen, zu entgehen.
Wie um uns davor abzuhalten, tobte die ganze Nacht ein Gewitter. Es schüttete wie aus Eimern und als wir am Morgen aus dem Laster blickten, steckten wir mitten in den Wolken die dicht in die Baumkronendächer hingen, und die Reifen versanken in einer Matschpiste. Wir fragten uns bei den Einheimischen durch, ob es trotz des Wetters möglich ist den Pass zu fahren – mit dem PKW machbar, mit unserem LKW unmöglich, lautete die Antwort. Dazu kamen pünktlich auf Höhe der Einfahrt des Camino Brechdurchfall bei beiden Kindern, um die restlichen klitzekleinen aufkeimenden Überlegungen vernünftigerweise schnellstmöglich wieder verschwinden zu lassen.
In Tiwanaku war die Welt wieder in Ordnung. Gewohnte Höhe auf 3.800 Metern mit Sonnenschein. Hier besichtigten wir eine der sehenswertesten präkolumbischen Kulturstätten Boliviens und UNESCO Weltkulturerbe. Die Tiwanaku Kultur wird auf 100 bis 1000 nach Christus geschätzt und die riesige, über 5 Quadratkilometer grosse Anlage gilt als Wiege der südamerikanischen Kultur
Die Highlights sind ein 3,50 Meter hoher Säulenmonolith
das Sonnentor, das aus einem einzigen, 2,80m hohen und 3,80m breiten Felsbrocken herausgehauen wurde und eine 1,40m x 60cm breite Öffnung hat.
und der Tempel mit 175 Steinköpfen
Die Hochebene spulten wir im Schnelldurchlauf ab, dank der wohl höchstgelegenen Autobahn der Welt, zur höchsten Stadt der Welt.
Gebremst wurde nur bei diversen Strassensperren um unsere bezahlten Mautzettel abstempeln zu lassen
oder um in wenig einladenden Städten mühsam das nötigste einzukaufen. Die Versorgung ist sehr rudimentär, und das wenige was zum Kauf angeboten wird, gleicht einem Spießrutenlauf. Eier, Milch, Windeln, Brot – eine Stunde später hat man alles zusammen nachdem man für jedes einen neuen Laden ansteuern musste. Fleisch liessen wir aussen vor, nachdem wir die hiesigen Metzgereien gesehen hatten.
Wir fuhren durch eine wunderbare Landschaft: Schroffe Berge in den buntesten Farben säumten unseren Weg zu dessen Füssen zwischen kleinen Salzfeldern Lamas und Alpakas die wenigen grünen Fleckchen abgrasten. Vereinzelt tauchten kleine Siedlungen auf und seit langem entdeckten wir mal wieder Bäume.
Trotz guter Strasse aber mit ständigem Auf- und Ab von 3.600 bis 4.600 Metern erreichten wir schliesslich Potosi, auf 4.065 Metern gelegen und dominiert vom Cerro Rico de Potosi.
Wir schlenderten durch die engen Gassen und bestaunten die vielen hübschen historischen Gebäude der einst reichsten Stadt des Kontinents.
Seit langem entdeckten wir mal wieder einen richtigen Supermarkt und deckten uns ein.
Ein paar Ecken weiter gab es die bekannten kleinen Tiendas, die bei genauerem Hinsehen neben Coca auch Dynamit (C4) mit den dazugehörigen Zündkapseln anbieten. Frei verkäuflich. Für jedermann. Gedacht jedoch für die Minenarbeiter, die sich hier eindecken bevor es in die unzähligen Minen zum Silber, Zinn und Zink abbauen geht.
1545 wurde in Potosi’s Hausberg Silber entdeckt und die Ausbeutung dort wurde von den Spaniern sofort in großem Stil vorangetrieben. Soviel, dass sie damit eine Brücke bis Europa hätten bauen können. Und von den Eroberern auch „die Stadt, die der Welt am meisten gegeben hat“ genannt wurde.
Bis zum 18. Jahrhundert starben über 8 Millionen Indigenas an den Folgen der unmenschlichen Arbeitsbedingungen, und auch heute wird kein Arbeiter älter als 40 Jahre und stirbt an Staublunge. Viele der rund 165.000 Einwohner leben immer noch vom Schürfen und hustet in Potosi jemand Blut, gehört das zum Alltag. Zusammen mit einem Arbeiter besorgte ich einen Dynamit-Bausatz, Coca-Blätter, Getränke, und 96-prozentigen Alkohol als Geschenke für die Mineros zum Dank der Besichtigungsmöglichkeit.
Mit dem Dynamit werden neue Stollen, in der Hoffnung auf weitere Silberadern zu stossen, gesprengt. Die Cocablätter werden von den Mineros in riesigen Mengen gekaut, damit sie die belastenden Schichten in den Minen, welche bis zu 16 Stunden dauern, überhaupt aushalten. Dem selben Zweck dient auch der 96-prozentige Reinalkohol. Diesen trinken die Mineros unverdünnt.
Anschliessend wechselten wir die Bekleidung um auf Grubenausrüstung, welche aus einem Overall, Gummistiefeln, Staubmaske und einer Stirnlampe bestand.
In den vielen Fabriken werden die abgetragenen Gesteinsbrocken zerkleinert und mit Hilfe von Unmengen an Chemie in ihre Einzelteile zerlegt. Die wertvollen Edelmetalle wandern ins Ausland, zurück in Bolivien bleiben das verunreinigte Wasser, das unnütze Geröll, die kranken Arbeiter und ein kleines Trinkgeld.
400 Meter höher befand sich einer der vielen Eingänge zu den Minen des Cerro Rico. Wir folgten den Schienen, vorbei an kleinen Türen vollgespritzt mit Lamablut in eine etwa mannhohe Öffnung, die sich nach wenigen Metern in alle Richtungen verkleinerte und sich in ein dunkles Labyrinth verwandelte.
Die Gummistiefel erwiesen sich als sehr hilfreich, da wir die ersten hundert Meter durch Matsch liefen. Die Helme waren ebenfalls Gold wert – ich habe mittendrin aufgehört zu zählen wie oft ich mir den Kopf angeschlagen hatte. Es wurde dunkler und ohne die Stirnlampen wäre es stockfinster gewesen. Die Luft wurde wärmer und stickiger – den Mundschutz kann man sich allerdings schenken. Wenn man bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Atemnot hat, spätestens durch diesen setzt sie ein. Durch schmaler werdende Stollen bahnten wir uns unseren Weg immer tiefer ins Innere des Berges. Mal kriechend und mal über Bretter balancierend erreichten wir schliesslich nach einem Kilometer die Silberabbaugebiete.
Der erste Arbeiter, kam uns entgegen und rollte schweissüberströmt seinen vollen Grubenwagen in den Feierabend
Mehrere hundert Meter weiter stiegen die Temperaturen ins unerträgliche und es sollte noch heisser werden: 1 Minero bastelte gerade 7 Sprengladungen zusammen, während seine 2 Kollegen Löcher in das Gestein bohrten. Trotz der harten, gefährlichen und kaum einträglichen Arbeit waren sie zu Scherzen aufgelegt und freuten sich wie kleine Kinder, als ich neben den üblichen Geschenken für jeden einen Schokoladenriegel auspackte.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Die Lunten brannten, und wir rannten alle los so schnell es ging. Ein paar wenige Meter weiter kauerten wir uns in eine Nische und 6 dumpfe, durchdringende Explosionen waren zu spüren. Auf die 7. und letzte warteten wir vergebens. Mit der Ausbeute des Tages machten wir uns auf den Rückweg
Bevor wir die Mine verliessen mussten wir aber noch Tio besuchen. Den Schutzpatron der Mineros. Die streng katholischen Bolivianer beten in den Schächten nicht Gott, sondern eben Tio und Pacha Mama (Mutter Erde) an. Diese Tatsache ist auf die Zeit der spanischen Eroberer zurückzuführen. So fragten die versklavten Indígenas die Spanier, wo den nun die von ihnen gepriesene Barmherzigkeit ihres Gottes sei. Daraufhin erwiderten die Spanier, dass es unter der Erde in den Minen keinen Gott gebe. Diese Auffassung vermochte sich bis heute zu halten, sodass die Mineros vor Schichtbeginn, die unterirdische Kapelle aufsuchen, Tio und Pacha Mama Cocablätter, Reinalkohol und Zigaretten opfern und und diese im Gegenzug um Schutz während der gefährlichen Arbeit zu bitten. So sprachen wir ein Gebet und dankten Tio für den Schutz, schalteten unsere Stirnlampen aus, rauchten zusammen mit Tio eine Zigarette und tranken den 96-prozentigen in 100-prozentiger Dunkelheit.
Mit vielen neuen Eindrücken verliessen wir die Mine und ich war nie glücklicher, unter freiem Himmel zu stehen, in die Sonne zu blicken und frische Luft zu atmen.
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