15.03. – 30.03.2017
Argentinien ist vor allem für sein gutes Fleisch bekannt – und irgendwo muss es ja auch herkommen. Genau hier ist das Zentrum der Rinderzucht mit den besten Voraussetzungen: Der fruchtbare Boden und die weite, saftige Graslandschaft eignen sich hervorragend um das Rind glücklich zu machen. Nichtsahnend, dass sie bald für das nächste Asado vorgesehen sind.
Je näher wir Buenos Aires kamen, desto mehr war die Luft erfüllt von einem herrlichen Duft, der uns das Wasser im Munde zusammenlaufen liess.
Buenos Aires („gute Luft“ ) gilt vor allem für das Wochenende: Dann liegt feinstes argentinisches Rindfleisch auf dem Rost. An jeder Ecke. Und wenn die schon besetzt ist, dann steht der Holzkohlengrill direkt auf der Strasse und der Dunst wabert süss-stickig umher. Jeder dritte Argentinier lebt inzwischen in der Hauptstadt – bezieht man den Großraum mit ein, sind es rund 13 Millionen Menschen.
Die Riesenmetropole verblüfft mit unzähligen weitläufigen Parkanlagen und einer davon wurde zum Domizil für die nächsten Tage auserwählt. Auf der riesigen Grünfläche tummelten sich Familien, Pärchen, Spaziergänger. Alle genossen das schöne Herbstwetter und die freien Tage, und verströmten ein Gefühl von Familienglück und Gemeinschaft. Es war voll, trotzdem entspannt, heiter und wir mittendrin. Sprachlos, und vor allem atemlos: Noch nie haben wir einen Park gesehen, auf dem es so viele Spielplätze gibt, die zur Freude unserer Kinder natürlich der Reihe nach ausprobiert werden mussten. Herausstehende rostige Nägel im Sandkasten, splitternde Holzwippen, meterhohe Rutschen ohne Geländer – dafür jedoch alle umzäunt, damit nichts wegkommt. Verliert sich dennoch ein Kind in dem Gewusel, wird in die Hände geklatscht. Alle stimmen mit ein, Gespräche erloschen, und der laute Takt verstummt erst, wenn es wieder aufgefunden wird.
Subte, die U-Bahn, verbindet die wichtigsten Stadtteile miteinander, und war somit für uns das günstigste und entspannteste Beförderungsmittel durch die Metropole. Und nirgends sonst, als in öffentlichen Verkehrsmitteln bekommt man besser Kontakt zu Menschen. Die Argentinier sind ausgesprochen kinderfreundlich, wobei der Begriff so eigentlich gar nicht existiert, denn Kinder sind einfach selbstverständlich in Südamerika. Das Schönheitsideal Blond und Blauäugig ist auch hier in den Köpfen fest verankert und so zogen wir auf der 45-minütigen Fahrt die gesamte Aufmerksamkeit auf uns. Romy und Levi wurden begrüsst, geküsst, angesprochen, fotografiert. Die direkten Sitznachbarn beschäftigten sich wie selbstverständlich mit ihnen und manch eine Mutter nahm ihrem Kind vorübergehend das Spielzeug aus den Händen um es an unsere Kleinen weiterzugeben. Ein älterer Herr zog seine Kette aus, küsste das daran hängende Kreuz, reichte dieses an Levi weiter und gab ihm mit dazu eine Segnung auf den Weg.
Beim Aufstieg bewunderten wir die schönen bunten Kachelbilder der Bahnstation und spazierten die letzten Meter in das Künstlerviertel nach San Telmo. Jeden Sonntag verwandeln sich hier die engen Kopfsteinpflasterstraßen in einen riesigen Flohmarkt, umrahmt von hohen Häusern aus der Zeit der Jahrhundertwende mit schmiedeeisernen Balkonen.
Weit kommt man nicht auf dem Weg durch die vollen Gassen mit den kunterbunten Ständen. Antiquitäten, Dachbodenfunde, Handarbeiten und Souvenirs wollen entdeckt werden und es machte Spaß, sich einfach treiben zu lassen und an den unzähligen Backstuben halt zu machen um leckere Kuchen und süsses Gebäck zu essen. Untermalt wird die gemütliche Atmosphäre von zahlreichen Straßenmusikanten, die zum lauschen und hängenbleiben einladen und natürlich auf ein paar Münzen hoffen. Am zentralen Plaza Dorrego wird getanzt. Wir fielen vor Begeisterung regelrecht auf die Knie und waren live und hautnah in der vordersten Reihe dabei. Buenos Aires ist Tango. Mit dem uns bekannten Tanz hat dies jedoch überhaupt nichts zu tun: Die Performance mit ihren komplizierten Figuren schien aus dem Stegreif zu entstehen und die Leidenschaft, der Stolz und die Freude der Tänzer lag förmlich in der Luft. Das Tüpfelchen auf dem I, welches diesen Sonntag zu einem unvergesslichen Ereignis machte.
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Die Stadt lädt auch Fußgänger zum Tanzen ein, der Blick nach unten auf den Gehweg verrät warum. Die Pflaster sind krumm, herausgebrochene Stücke strafen mit Stolpern. Besonders beliebt sind Hunde und werden stolz an der Leine ausgeführt. Mit fadem Beigeschmack: Kleine und grosse Hundehaufen wohin das Auge reicht warten förmlich darauf, von der nächstbesten Schuhsohle fortgetragen zu werden. So entstand unsere eigene Performance. Wir hüpften und balancierten, schoben den Kinderwagen im Slalom, teils vor-zurück, von links nach rechts.
Gegen Nachmittag zog es einen Teil der Besucher, die in blau-gelben Trikots steckten, zum Sonntagsspiel nach La Boca, einem südlicher gelegenen Teil der Stadt. Dieses Viertel ist nicht das Sicherste, umringt von den gut gelaunten Fussballfreunden fühlten wir uns jedoch gut aufgehoben. Ihr Ziel war die Bonbonera, das Stadion des populärsten Fussballclubs Argentiniens: Boca Juniors und ehemaliger Heimatverein des Diego Maradonas. Der Name Pralinenschachtel ist Programm: Es steht inmitten eines Wohngebietes mit atemberaubend steil ansteigenden Tribünen.
La Boca endet in der Mündung des Flusses Riachuelo und die schattige, von Bäumen gesäumte bunte Hafenpromenade bot die Gelegenheit, eine wohlverdiente kurze Pause einzulegen.
Berühmt sind die originellen Häuser in der Strasse El Caminito, dessen farbige Fassaden schon von weitem leuchten. Die Häuser sind aus dem Blech abgewrackter Schiffe erbaut, dick mit buntem Schiffslack bemalt und verziert mit überdimensionalen Puppen argentinischer Prominenter, die von Balkonen auf die flanierenden Fussgänger herabwinken. Ganz im Zeichen des Tangos, der hier seine Wurzeln hat, wird der kleinste freie Platz für Vorführungen genutzt und den ganzen Tag getanzt, ob improvisiert oder professionell.
Nun waren die Kinder an der Reihe und durften auf den Spielplatz. Mitten im Problemviertel. Kaum angekommen wurden Thorben und ich von einer Frau angesprochen, ihre Hände voll mit grossen Plastiktüten. Sie erzählte von ihren Kindern, ebenfalls blond und blauäugig, und würde uns gerne deren Sachen geben. Die Situation überforderte uns. Zögernd suchte ich ein herrliches Kleid für Romy und zudem ein kleines Auto für Levi heraus. Bei der Frage, was sie dafür haben möchte, verneinte sie, schob uns alles vor die Füsse und war kurzerhand schon wieder verschwunden. So kehrten wir mit 4 großen Tüten voller Spielsachen langsam zurück zur U-Bahn Station.
Im Großraum der Stadt lebt jeder Dritte unterhalb der Armutsgrenze, auszumachen an einem breiten Ring von Siedlungen aus Blech und Bretterhütten ohne Strom und Wasseranschluss, der die Hauptstadt umkreist. Auch unter den Brücken begegneten uns viele Familien mit kleinen Kindern, die dort unter unglaublichen Bedingungen leben. So wanderte auf dem Heimweg Stück für Stück der Geschenke an braunhaarige, braunäugige Kinder weiter, denen es an allem fehlt und ein kleines Stofftier oder Spielzeug ein wenig Freude in ihr trauriges Leben brachte.
Zum Wochenbeginn wirkte unser Park wie ausgestorben. Lediglich die Hundesitter mit ihrem Dutzend Hund an den Leinen zogen ihre Runde über die weitläufigen Wiesen.
Wir folgten einer lang ausgesprochenen Einladung und besuchten unsere Freunde Lulu und Allie, die wir bereits in Kolumbien kennen lernten. Bei Empanadas ließen wir es uns in ihrem schattigen Garten gut gehen und hatten so einiges zu erzählen.
Man munkelt die Argentinier machen noch besseres Eis als die Italiener. Mit einem Insidertipp von Lulu verliessen wir die kleine Familie auf direktem Wege zur besten Eisdiele der Stadt. Die gewohnte Kühltheke mit den offen präsentierten Sorten suchten wir vergeblich. Nur eine grosse Tafel mit etwa 2o verschiedenen Geschmacksrichtungen verriet, dass wir richtig waren. Die Leckerei wird in 10 Kilo-Eimern im Kühlhaus gelagert, und meist auch so verkauft oder sogar nach Hause geliefert. Geschmeckt hat es hervorragend. Kein Grund sich zu verstecken!
Am Dienstag war von der gemütlichen Stimmung keine Rede mehr. Schon in der U-Bahn spürten wir intensiv, in einer 13-Millionen-Metropole zu sein. An der Avenida 9 de Julio traf uns fast der Schlag. Vom hektischen Untergrund der U-Bahn schritten wir direkt in ohrenbetäubenden Lärm und Verkehrschaos. So viele Autos und Menschen hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Kein Wunder, wir befanden uns an der grössten Straße der Welt. Sie ist 140 Meter breit, besteht aus mehr als 16 Fahrspuren und im Herzen ragt ein schneeweisser, 67 Meter hoher Obelisk in den Himmel. Einfach mal schnell die Strassenseite wechseln ist unmöglich – die Überquerung der 6 Fussgängerspuren dauert mehrere Minuten und eine Grünphase reicht bei weitem nicht aus. Diesen Kulturschock mussten wir eine Seitenstrasse weiter erstmal verdauen und gönnten uns in einem urigen Restaurant ein klassisches argentinisches Mittagessen. Rindfleisch, Rindfleisch und nochmals Rindfleisch. Ohne nennenswerte Beilagen.
Vom Kongresspalast stolzierten wir über den Plaza del Congreso, immer der prächtigen Avenida de Mayo entlang bis zum Plaza de Mayo und rundeten das Ganze mit dem botanischen Garten ab. Es war unübersehbar, warum Buenos Aires als das Paris Südamerikas gilt. Prachtvolle historische Bauten, stattliche Alleen, der Flair, da fühlt man sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Städtetrips sind anstrengend, vor allem mit Kindern. Für alle Beteiligten. Nach dem Wochenende mit seinem ganz eigenen Charme und der Ernüchterung durch das Alltagschaos waren wir froh, Buenos Aires den Rücken zuzukehren. Es dauerte eine Weile, bis der Grossstadtdschungel hinter uns lag und nur 50 Kilometer entfernt wartete bereits die nächste Metropole. Montevideo in Uruguay. Hier legen die Frachtschiffe im Hafen ab, der auch unseren Frosch zurück nach Deutschland bringen wird.
Auf der langen Strecke durch die Pampa hatten wir jedoch ordentlich Zeit um Pläne zu schmieden, denn mit dem bevorstehenden Ende der Reise konnten wir uns nicht anfreunden. Mit einem Lächeln im Gesicht fuhren wir an Montevideo vorbei, weiter nach Norden, um noch eine Runde über Paraguay und Brasilien zu drehen.
Im Zweistromland angekommen zeigte uns Südamerika, was richtig große Flüsse sind. Schon der Provinzname Entre Rios – zwischen den Flüssen – ist eine eindeutige Verortung. Wir überquerten den gewaltigen Rio Uruguay, dessen Lauf wir die nächsten Kilometer am breiten Westufer mit seiner beeindruckenden subtropischen Savannen-Landschaft entlang folgten. Viehzucht und Ackerbau wurden verdrängt durch Nadelbäume und Wäldern des letzten grossflächigen Bestandes der hohen, bis zu mehreren hundert Jahren alten Yatay-Palmen und sommerlichen Temperaturen von schwülen 30 Grad.
Eine träge Schönheit, angefüllt mit dem Aroma unzähliger Blüten. Auf der Halbinsel Soler finden sich unzählige breite, rotbraune, feine Sandstrände und laden zum Baden im warmen Fluss ein. Es war Freitag und so mischten wir uns unter die vielen anderen Familien, genossen das erfrischende Wasser mit Blick auf Uruguay. Das andere Ufer ist kam auszumachen, und würde der breite Strom seine träge Bewegung einstellen, könnte man ihn glatt für einen See halten.
Händler drehten ihre Runden und lieferten uns Apfelkuchen auf die Picknickdecke vor dem Laster. Gegen Abend wurde die Wiese am Ufer immer voller. Rings um uns sammelten sich Autos, die Kofferräume wurden geöffnet, die Musikanlagen aufgedreht und die Argentinier nahmen auf der Wiese, den mitgebrachten Stühlen oder einfach auf der Kofferraumkante platz und eröffneten das Wochenende. Mit im Gepäck: Der Mate – das Nationalgetränk. Gemäß der Tradition klemmt dem Cebador (Geber) eine grosse Thermoskanne mit heissem Wasser unter der Achsel. Dieser füllt die Kalebasse, trinkt den ersten sehr bitteren Aufguss selbst oder spuckt ihn aus. Dann wird ständig heisses Wasser nachgegossen und der immer noch bitter schmeckende Mate ohne Unterlass im Kreis der Gruppe gereicht wie eine Friedenspfeife. Denn Mate trinkt man nicht allein, Mate teilt man.
Bis nach Mercedes lagen noch einige Kilometer vor uns und es wurde stetig heisser und feuchter. Entgegen meiner Befürchtung kühlte es nachts jedoch merklich ab sodass schlafen problemlos möglich war. Meistens jedenfalls. In der Stadt fanden wir einen netten Parkplatz am Plaza Municipal Indepedencia, dem Hauptplatz des kleinen Städtchens. Inmitten der halb verfallenen kolonialen Bauten gelegen bietet der quadratische Platz mit Wiesen, Springbrunnen samt Schildkröten, großen Statuen und vielen Bänken einen Anlaufplatz für die Bewohner, von denen jedoch keiner zu sehen war. Erst nach Einbruch der Dunkelheit erwachte die Plaza zum Leben und um Mitternacht riss uns die Jugend aus dem Schlaf. Musik dröhnte von allen Seiten, liess sich aber nicht zuordnen. Wir dachten an ein Konzert auf dem Platz. Einen Strassenumzug. Aus dem Laster geklettert traf mich der Schlag: Rings um uns, aber auch wirklich nur um uns herum geöffnete Kofferräume. Vollgepackt bis zum Dach mit Lautsprechern. Aus jeder lief die eigene Partymusik und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Einladung zum mitfeiern lehnte ich dankend ab. Erst zur Morgendämmerung wurde es leise und das rhythmische Kehren der Müllabfuhr liess uns in einen kurzen Schlaf fallen, bevor Levi´s tägliche Party startete.
Unmittelbar außerhalb der Stadt befindet sich der Pilgerort und letzte Ruhestätte für den wundersamen Gauchito Gil. Am Strassenrand sind Schreine über das ganze Land verteilt, die sich schon von weitem mit wehenden knallroten Fahnen ankündigen. Von kleinen Schreinen bis zu grossen Altaren, alles war dabei. Aber dieser surreale Ort toppte alles. Das Areal umfasst mehrere Kapellen und Lagerhäuser, die tausende Opfergaben enthalten. Die Wände voll mit Nummernschildern, Fotos von Pilgern, Ultraschallbildern. In Nischen stecken Messer, Zigaretten, Pistolen, T-Shirts. Sogar Haarsträhnen. Die sperrigen Geschenke, wie Fahrräder, Gitarren und Hochzeitskleider hängen von den Decken herab. Alles dargebracht von Menschen, die an die Wunder des Gauchos glauben und um einen Gefallen bitten. Im Zentrum brennen Zigarettenstummel, Rotweinduft erfüllt die Luft, Kerzen werden entzündet, die große Statue gestreichelt, gebetet und es fließen immer wieder Tränen.
An den unzähligen Verkaufsständen gibt es Flaggen, Aufkleber, Zigarren, Statuen von klein bis groß. Ich kaufte einen kleinen Wimpel mit dem Spruch: „bendice a la familia y el hogar“ (Segnet die Familie und das Zuhause), der im Fahrerhaus seinen Platz fand und uns auch weiterhin sicher auf den Straßen voranbringen sollte. Wer an der Pilgerstätte vorbeifährt so heißt es, muss hupen, sonst drohen ihm unterwegs lange Verzögerungen oder noch unheilvoller, er erreicht nie mehr sein Ziel. Zum Abschied gab der Frosch also sein lautes Hupen von sich, um Gauchito die letzte Ehre zu erweisen und rastete in die Spurrillen der immer schlechter werdenden Strassen ein, auf dem Weg in die Sümpfe von Iberá.
Die 100 Kilometer entpuppten sich als beschwerliche, komplizierte Etappe abseits der gängigen Touristenroute. Mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit schaukelte der Frosch über die mittlerweile holperige, unbefestigte Strasse und liess den Staub rings um die Schlaglöcher aufwirbeln.
Aber was uns währenddessen geboten wurde, war alle Qualen wert. Immer wieder hielten wir an, um Sumpfhirsche und die putzigen Wasserschweine zu beobachten. Carpinchos werden die Nagetiere genannt, sehen aus wie Meerschweinchen, werden jedoch bis zu 1,5m groß.
Das Reservat Esteros del Iberá ist ein 5.000 Quadratkilometer grosses Feuchtgebiet und zugleich einer der grössten Süsswasserspeicher Südamerikas. Eine wunderbare Naturlandschaft mit seltenen Pflanzen und zahlreichen Tierarten. Stellenweise unberührte Wildnis ohne Wege und Pfade und zum Teil nur auf dem Wasserweg zu erkunden. Neugierig stieg ich in ein kleines Boot, angetrieben durch eine Bambusstange. Mit leisen Bewegungen in den Boden gesteckt und durch kräftigen Druck nach Hinten glitten wir lautlos über das glitzernde Wasser. Weit in das Sumpfgebiet hinein. Bemerkenswert nah heran an die schwimmenden Inseln, die sich nur lose mit den verankerten Vegetationsmatten verbinden. Dort wimmelte es nur von großen Familien der Wasserschweine samt ihrem Nachwuchs, versteckt zwischen anmutigen Seerosen, Wasserhyazinthen und Wasserpflanzen. Oder suhlten entspannt im Schlamm. Fischreiher zogen ihre Kreise, die buntesten, kuriosesten Vögel saßen nistend in den Büschen oder spazierten umher und am Ufer aalten sich die Yacares, kleine Krokodile, in der Sonne.
Nach zwei wunderschönen Tagen zog es uns weiter Richtung Nordosten in die Provinz Missiones. Doch auch in diese Richtung lagen erst mal wieder 120 Kilometer Buckelpiste vor uns für welche wir ganze 5 Stunden brauchten.
Die Mercedes-Kurzhauber sind im ganzen Land verbreitet. Sei es im Ruhestand als umgebaute, riesige Wohnmobile, Verkaufsstände für Obst und Gemüse, oder noch mitten im Berufsleben als Transportmittel. Hier im Norden haben sie ordentliche Mengen zu transportieren, schließlich will das gesamte Land – das einen Pro-Kopf Konsum von 5,5 Kilogramm schafft – mit Yerba Mate versorgt werden. Die Vegetation wird üppiger, das flache Land geht langsam in sanfte Hügel über, Bambuswälder, Palmen, Papaya- und Maniokplantagen und andere subtropischen Gewächsen bestimmen das Bild.
Der grösste Produzent des argentinischen Yerba Mate ist Las Marías und lädt auf das riesiges Gelände ein, um den gesamten Herstellungsprozess eindrucksvoll zu demonstrieren. Die gleichbleibenden Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit bieten optimale Voraussetzungen um den anspruchsvollen Strauch der Mate Pflanze gedeihen zu lassen. Im Gegensatz zur gewöhnlichen Teepflanze gehört Mate zur Familie der Stechpalmen, wächst baumartig und wird bis zu 15 Meter hoch. Die kleinen Pflanzen sind sehr empfindlich und brauchen zur Aufzucht Schatten. Erst nach 4 Jahren können die ersten Blätter für die Produktion geerntet werden. Wir staunten über die malerisch, wellenförmig angelegten Felder der zurechtgestutzen immergrünen Bäume, während im Rest von Missiones die Bäume wild als Unterholz des Urwaldes wuchern.
Die geernteten Blätter samt Stielen und jungen Trieben werden zerkleinert, getrocknet und in grossen Säcken gelagert
um anschliessend in der Fabrik einer strengen Geschmackskontrolle unterzogen zu werden. Unermüdlich testete der Arbeiter Zug um Zug, und das den ganzen Tag lang. Ich war mittlerweile ein großer Liebhaber des bitteren Getränks, aber bei dem Anblick schüttelte es mich gewaltig.
Ist alles zur vollsten Zufriedenheit, wandert der Tee durch die große Verpackungsanlage.
Die Auswahl ist schier endlos. Gemischt mit Kräutern wie Kamille, Anis oder Minze, in Teebeuteln und sogar gestreckt und zugesetzt mit Geschmacksträgern wie Vanille ist selbst für Kinder der passende Mate dabei. Im angeschlossenen Café durften wir nach Herzenslaune probieren um unseren persönlichen Lieblinsgeschmack zu finden. Die Kinderversion kam bei Romy nicht so gut an, lieber trinkt sie zusammen mit Mama den echten Mate. Thorben ist gar nicht dafür zu begeistern – was nach Kuhstall riecht, kann nicht schmecken.
Wir kamen nun in ärmere Regionen. Die Menschen leben zum Teil in einfachsten Bretterbuden wie wir es zum Teil in Zentralamerika kennengelernt haben. Missiones war lange ein unberührter Urwald und übt eine starke Faszination aus: Tiefgrün, rote Erde und dazwischen geheimnisvoll wirkende alte Kirchen. Die ersten Europäer, die hier siedelten, waren Jesuiten-Missionare. Sie kamen Anfang des 17. Jahrhunderts und gründeten Siedlungen. Nach ihrer Vertreibung 1768 verfielen die Reduktionen und wurden wieder vom Urwald überwuchert. Die am besten rekonstruierte davon ist San Ignacio Mini. Unter der gleißenden Sonne spazierten wir über die weitläufige, mit Palmen bewachsene Ruinenanlage und bestaunten das mächtige Portal und die vielzähligen, gemeisselten Ornamente wie filigrane Blumen und Tiermotive.
Von Schweiss triefend erreichten wir den nördlichsten Zipfel Argentiniens. Hier fliesst der Rio Iguazú – aus dem Guaraní übersetzt „grosses Wasser“, und der verheissungsvolle Name lockte uns mit Erfrischung und einem unvergesslichen Naturschauspiel mitten im Regenwald – wenn nicht sogar der Attraktion Südamerikas schlechthin. Gewaltige Baumriesen, Bambusgewächse, wilde Papayas und Guavenbäume, Palmen, Lianen und Kletterpflanzen umschliessen den Nationalpark, und ohne die gut strukturierte Erschliessung wäre es fast unmöglich, das riesige Areal zu erkunden. Ein gasgetriebener Ökozug tuckerte uns mitten hinein in das Herz des Urwaldes und unsere Aufregung stieg mit jedem Meter. An der Endstation wurden wir bereits von den Nasenbären erwartet. Die kleinen niedlichen Nagetiere wuseln hier unermüdlich umher auf der Suche nach Futter und wurden sofort mit gebührendem Abstand zur Attraktion. Unzählige Schilder warnen davor, ihnen zu nahe zu kommen. Schon so manchem Touristen haben sie tiefe Bisswunden zugefügt. Kurz darauf erfuhr auch Romy am eigenen Leib, dass dies keine Kuscheltiere sind. Stolz lief sie mit ihren so eben gekauften Gummibärchen aus dem Kiosk und noch an der Eingangstür versuchte ein ganz freches Exemplar, die ganze Tüte zu klauen.
Ab da waren die aufdringlichen Nasenbären doof und neue Lieblingstiere waren gefunden: Hunderte von farbenprächtigen Schmetterlingen flatterten umher und liessen sich auf den Kindern nieder. Romy und Levi waren wie paralysiert und auch ich konnte meine Augen kaum abwenden von diesem Anblick.
Lange Spazierpfade laden zum entdecken ein, kaum ausreichend um es an einem Tag zu schaffen. Nach einer Stunde am Flussufer drängte die Zeit und so rissen wir uns schweren Herzens los. Mehrere Stahlbrücken führen 2 Kilometer lang über den sanft fliessenden Rio Iguazú und erst das langsam beginnende Dröhnen liess erahnen, was uns bald erwartete.
An der breitesten Stelle kam langsam Bewegung in den trägen Fluss, dessen Massen nur wenige Meter später mit einem gewaltigen Tosen hinabstürzten.
Direkt an der Abrisskante endet der Steg in einer riesigen Aussichtsplattform und es lässt sich das ganze Ausmass dieser hufeisenförmigen Schlucht ausmachen. Auf einer Gesamtbreite von 2.700 Metern fallen über 275 einzelne Wasserfälle bis zu 70 Meter tief frei hinab und enden im Nirgendwo. Und wir standen mittendrin und blickten in den Schlund des Garganta del Diabolo. Umringt von gewaltigen Gischtmassen. Sprachlos und Nass. An diesem sonnigen, heissen Tag die perfekte Abkühlung, wenn nicht sogar die schönste Abkühlung die man sich vorstellen kann.
Ein weiter unten gelegener Pfad führte direkt auf die Wasserfälle zu und bot eine fantastische Sicht auf die zahllosen breiten Kaskaden.
Der Rio Iguazu war nicht nur unser nördlichster Punkt, sondern auch ein grandioses Finale für Argentinien. Er bildet die Grenze zum Dreiländer-Eck Argentinien/Brasilien/Paraguay und wir waren nach 3 Monaten Argentinien gespannt, was uns dahinter erwartet. So neugierig, dass wir einfach am Zoll vorbeifuhren ohne den Laster auszustempeln. Hasta luego Argentinien, hoffentlich werden wir noch einmal reingelassen.
Leider ist es seit vielen, vielen Jahrzehnten schon so, dass sich alle 10 Jahre ein wirtschaftlicher Totalkollaps entwickelt. Zur ungünstigsten Zeit bereist, war Argentinien mit das teuerste Land der gesamten Reise.