26.02. – 15.03.2017
Vor uns lag nun die große Pampa – ein knapp 3.500 Kilometer langes, großes Nichts.
Nur ein winziges Stück der Ostküste Südamerikas gehört zu Chile, und dieses hat eine Überraschung parat. Bereits in der Ferne kündigten sich Vulkankegel und weite, erkaltete Lavafelder an. Für einen kurzen Augenblick traute ich meinen Augen kaum. Die unwirkliche Vulkanlandschaft ist ein kleiner, unbekannter Nationalpark mit dem Namen Pali Aike und eignet sich hervorragend für ein paar schöne Wanderungen, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Ganz besonders gefiel uns der 2 Kilometer lange, nicht ganz ungefährliche Pfad mitten durch das dunkle, scharfkantige Lavagestein. Den Blick immer auf die Füße gerichtet um nicht zu stolpern oder auf die kleinen schwarzen Echsen zu treten, die hier zu Dutzenden anzutreffen sind. Die letzten 200 Meter forderten einiges an Geschicklichkeit um über immer grösser werdende Gesteinsbrocken zu klettern oder sich durch diese hindurch zu zwängen bis wir schliesslich inmitten eines dunklen schwarzen Trichters standen: Dem Krater des Escorial del Diabolo.
Ein schöner Abschluss für Chile, denn der Nationalpark liegt direkt am Grenzgebiet zu Argentinien. In Punta Delgada erledigten wir den letztmöglichen Billigeinkauf, bevor uns in Argentinien die hohen Preise wieder in Angst und Schrecken versetzen. Die beiden Länder sind nicht gerade die besten Freunde, umso mehr waren wir überrascht, daß uns ein gemeinsames Abfertigungsgebäude erwartete, beide Hand in Hand arbeiteten und alles zügigst abgewickelt wurde. Binnen weniger Minuten waren wir wieder in Argentinien. Zum 6. Mal.
In Rio Gallegos verbrachten wir eine sehr unruhige Nacht an der Uferpromenade – es war Wochenende und die Jugendlichen fuhren bis in die frühen Morgenstunden ihre getunten Autos ohne Schalldämpfer spazieren. Aber man kann es ihnen nicht verübeln, in einer weiteren Stadt, die nichts für junge Leute zu bieten hat.
Zurück auf der Hauptstraße erwartete sie uns nun: Die berühmte sprichwörtliche, endlose Pampa. Pampa, ein Wort aus der Quechua-Sprache, bedeutet „baumlose Ebene“. Eine kurze Beschreibung, kaum ausreichend um eine Vorstellung zu bekommen was einen erwartet. Passender wäre: Eine riesige Weite, die endlose Ebene bedeckt mit feinen, kniehohen Gräsern – der einzigen nennenswerten Erhebung, die Lücken ausgefüllt mit Wind. Fast jeder hat diesen Begriff schon benutzt, und nur wenige davon können behaupten zu wissen , wovon sie sprechen. Santa Cruz ist die zweitgrösste Provinz in Argentinien, und gleichzeitig auch am dünnsten besiedelt. Eine Fläche, so gross wie die alte Bundesrepublik, mit lediglich 270.000 Einwohnern. Vergleichbar mit einer Fahrt von München nach Hamburg ohne einem Menschen zu begegnen und zwei Tankstellen. Ansonsten Links und Rechts nur Steppe. Und mittendurch eine Strasse und einzige Verbindungsstrecke von Feuerland nach Buenos Aires: Die unglaublich langweilige Ruta 3 – über 3.500 Kilometer schnurstracks geradeaus, eine Distanz von Deutschland bis nach Israel.
Es ist wirklich ein unglaubliches Nichts, und schon nach einigen Stunden sturem geradeaus fahren hing es Thorben zum Hals heraus. Und das bereits am ersten Tag, mit gerade einmal 5 Prozent der Gesamtstrecke.
Mich hingegen faszinierte diese Gegend. Eine unvorstellbare Weite von Land und Himmel mit atemberaubenden Wolkenformationen. So unterschiedlich sind die Meinungen.
Romy, unser Wirbelwind, überrascht an solchen langen Fahrtagen immer wieder. Stunden verbringt sie in ihrem Sitz, spielt, singt, malt oder beobachtet einfach, ohne sich zu beschweren. Levi ist davon weit entfernt. Das Schlafpensum ist gesunken und nach den kurzen Nickerchen will er selbstverständlich Action und Bewegung. Sein Kindersitz hat seit Monaten eigentlich nur die Funktion, um uns den Platz im Fahrerhaus wegzunehmen, viel lieber schläft er in meinem Arm oder sitzt auf meinem Schoss um nichts zu verpassen. Grasende Nandus und Guanakos findet er toll, noch besser ist es, wenn diese ein Wettrennen mit dem Laster veranstalten. Das Kinderkino läuft leider nicht 24 Stunden Nonstop, irgendwann sind 12 zappelnde Kilo auch für mich nicht mehr lustig und so kam es, daß ich viel Zeit hinter dem Steuer verbrachte. Man könnte meinen, der Fahrer hat wenig zu tun auf der gut ausgebauten Strecke ohne Verkehrsaufkommen. Zwar ist das Lenkrad bei den fehlenden Kurven überflüssig, kommt dann und wann aber ein vollgepackter LKW mit Gütern auf dem Weg nach Süden entgegen ist ordentlich Arbeit angesagt. Selbst unser schwerer Frosch wird durchgeschüttelt und der Windsog zieht einen regelrecht aus der Spur.
Hält man die Augen offen, lässt sich eine vielfältige Tierwelt entdecken. Nandus, Gürteltiere, Stinktiere, Adler, Meerschweinchen, Maras, Vogelspinnen und die verschiedensten Vögel. Stellenweise mutiert die Ruta 3 leider zu einem schaurigen Schlachtfeld. Hauptverkehr besteht von Seiten der Tiere, die Umgebung samt Strasse zu ihrem Revier erklärt haben. Vor allem Guanakos, Gürteltiere und Stinktiere zeugen mit Blutlachen und verwesenden Überresten am Strassenrand vom missglückten Versuch, die Seite zu wechseln.
So fuhren wir tagein, tagaus. Und der abendliche Blick auf die Landkarte machte uns bewusst, wie riesig das Land ist. Und das ohne Veränderung. Jeder Tag sah gleich aus.
Um zum Atlantik zu gelangen, kommt man nur über Schotterpisten zum Ziel. Hier liegt auch der Nationalpark Monte Leon. Ein lohnenswerter Abstecher. Von Oktober bis April brütet eine überwältigende Kolonie mit rund 75.000 erwachsenen Magellan-Pinguinen und zieht ihren Nachwuchs groß. Der Puma findet hier reichlich Beute, und der lange Spaziergang durch die patagonische Steppe wird zum Abenteuer. Unzählige Warnschilder begleiten uns auf dem Weg zum Meer und gespannt hielten wir Ausschau. Wir hatten Glück oder auch Pech, denn keiner ließ sich blicken. Unzählige Häufchen von kleinen, weissen Federchen liessen wissen, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Im März ist die Saison fast vorbei, die Jungen haben ihr Babyfell verloren und nehmen zusammen mit den Eltern den ersten Schwimmunterricht, bevor sich die Pinguine auf die Reise in den blau leuchtenden Atlantik begeben. Bis an den Pfad heran leuchten unter kargen Büschen weiss schwarze Tierchen aus den in den Sand gegrabenen Bruthöhlen hervor. In diese Nester werden die Eier abgelegt und ausgebrütet. Kommt man ihnen zu nahe, legen die Frackträger den Kopf schräg, fauchen und mustern den Eindringling neugierig. Der Strand ist übersät mit Pinguinen, die sich in das tosende Wasser stürzen. Putzig, wie sie unbeholfen watscheln, um dann am Ziel angekommen zeigen, wie flink sie im Wasser sind. Für Romy sehr enttäuschend: von der Aussichtsplattform waren sie viel zu weit entfernt. Baby Levi krabbelte derweil vergnügt die Holzlatten auf und ab: Er entdeckte eine kleine Familie, die direkt unter uns saß. Zum greifen nah und keineswegs gestört von uns Menschen. Wir waren hin und weg, und freuten uns, dass sich unsere Kinder so freuten.
Ein kleiner Lichtblick ohne Umweg lag direkt an der Hauptstrasse. In der Bucht von Puerto Santa Cruz ziert der Nachbau des Schiffes von Magellan den Strand. Lebensecht wirkende Figuren erzählen die Geschichte des Seefahrers – für Kinder ein faszinierendes Piratenabenteuer.
Eine 40 Kilometer lange, wilde Sandpiste auf dem Circuito Costera führte uns direkt an der Atlantikküste entlang, mit einsamen Stränden und Steilküsten
2 Fahrtage später ergab sich endlich die Chance, das Lenkrad auf Funktion zu überprüfen. Diesmal bogen wir nach links ab, hinein in das patagonische Hochland. Eine Steinwüste, durchzogen von ausgedörrten Flusstälern. Die 50 Kilometer zogen sich bis in den späten Nachmittag hin, es wurde unerträglich heiss und wir begrüssten dankbar den aufkommenden, schneidenden Wind als wir inmitten einer platten, im Canyon gelegenen Mondlandschaft das Lager aufschlugen.
Nur wenige Menschen zieht es in diese extreme Gegend, obwohl es hier ein einzigartiges Naturschauspiel zu bewundern gibt. Etwa 150 Millionen Jahre früher vergrub eine 20 Meter dicke Ascheschicht der Vulkanausbrüche die hiesigen Aurakarienwälder. Die Bäume versteinerten im Laufe der Jahrmillionen und wurden durch Erosion nach und nach wieder freigelegt: Das Monument Natural Bosques Petrificados – die versteinerten Wälder Patagoniens. Über einen kleinen Rundweg spazierten wir bei strahlendem Sonnenschein mitten hindurch, kamen mächtig ins Staunen und fühlten uns richtig klein, wenn wir neben einem Prachtexemplar von 35 Metern Länge und 3 Meter Durchmesser standen. Die Struktur des Baumes ist klar zu erkennen, und sogar die einzelnen Baumringe. Fast unvorstellbar, dass aus Holz Stein werden kann.
Zurück auf der Ruta 3 blieb uns der nächste Pisten-Abstecher an die Küste erspart. Direkt am Wegesrand, zwischen Asphalt und Atlantik wartete schon die nächste Attraktion. Der Kiesstrand bei Caleta Olivia grenzt unmittelbar an die Autobahn. Während hinter uns die LKWs vorbei rauschten, lagen keine 20 Meter von unserem Laster entfernt hunderte von Seelöwen. Nebeneinander, übereinander. Groß, fett, und doch allerliebst mit ihren riesigen Knopfaugen. Und vor allem Faul. Bewegt wird sich nur bei Hunger oder wenn Mensch Ihnen zu nahe kommt. Dann gerät die ganze Masse in Wallung und schimpft lautstark, wenn einer von Ihnen mit seinen 2,5 Metern Länge und 500 Kilo Körpergewicht ohne Rücksicht über die herumliegenden Artgenossen robbt.
Den Kindern war das Ganze nicht so geheuer und nach einer kurzen Begutachtung zogen sie es vor, das ganze direkt vom Fenster, sicher im Bett zwischen Spielzeug und Kuscheltiere zu verfolgen. Ich konnte gar nicht genug bekommen, saß lange im Kies, beobachte die riesigen Tiere und war unglaublich dankbar dafür, solche einzigartigen Momente erleben zu dürfen.
Wir begeben uns wieder auf die Nebenstrecken, die teilweise direkt am Meer entlang führen. Dort klapperten wir etliche Steilküsten auf der Suche nach Seeelefanten ab. Auch die letzte Bucht bei Playa Isla Escondida fuhren wir komplett von links nach rechts, ohne Erfolg, Zumindest was die Tiere betraf. Dafür fanden wir Manni und Daggi wieder, unsere lieben Reisegefährten. Die Überraschung war groß, die Freude auch.
Einen schönen Stellplatz auf der gesamten Strecke zu finden ist nicht einfach, das Angebot besteht aus Tankstelle oder Zaun neben der Autobahn. In Trelew fanden wir gemeinsam einen Campingplatz, der es wert war angesteuert zu werden: Einfach, und für die hiesigen Verhältnisse gepflegt und bezahlbar. Wir hatten den riesigen Platz für uns, ausnahmweise mal Windschatten und Wärme. Auf unserer gemeinsamen Tour durch Zentralamerika erntete ich von Manni regelmässig schockierte Kommentare, wenn ich seine Daggi Oma nannte. Mittlerweile nannte er Romy und Levi selber seine Enkel. Oma nahm sich viel Zeit für die Kleinen, es wurde gespielt, Pudding gekocht und Opa unternahm mit den kleinen Ausflüge auf den Spielplatz und hatte ebenso Spaß. Mit soviel Einsatz von den Großeltern kamen wir dann auch mal richtig flott voran. Thorben mit Reparaturen und Wartungsarbeiten, und ich mit der leidigen Handwäsche. Die fröhlichen Tage rundeten wir mit abendlichem Grillen und gemütlichem Beisammensein ab.
Nach 2 entspannten Tagen zogen wir gemeinsam los, um das nahe gelegene Naturschutzgebiet und UNESCO-Weltkulturerbe Península Valdés zu erkunden. Die herrliche Küstenlandschaft der Halbinsel ist ein Paradies für alle Naturfreunde und vor allem in den Sommermonaten sehr lohnenswert um Wale in nächster Nähe zu beobachten. Die Saison war bereits vorüber, die Straßen leer und die großen Tiere in den Tiefen des Ozeans verschwunden. So genoßen wir in völliger Ruhe dieses wilde, rauhe Fleckchen Erde und begnügten uns mit dem Kuscheln von Kleintieren.
Die letzten verbliebenen Magellanpinguine der Saison fühlten sich schon recht einsam und waren für jegliche Ansprache dankbar. Ohne mit der Wimper zu zucken liessen sich die kleinen Kerlchen am Puerto Piramides von krabbelnden kleinen, und schnatternden großen Kindern umkreisen
und posierten in ihrem schwarzen Frack für ein Familienfoto.
In einer einsamen Bucht tummelten sich die dicken Seeelefanten faul in der Sonne,
Attraktion sind hier aber eher die Gürteltiere. Ohne Scheu liefen sie direkt auf uns zu und wer wollte, durfte auch mal streicheln. Ich war hin- und hergerissen. Betrachtet als Verwandte der Igel sind sie wirklich niedlich, mit ihrer Ähnlichkeit zu riesigen Kellerasseln dann eher weniger.
Mitten im März sind die Orcas in Küstennähe unterwegs, um sich mit der Flut an das Ufer schwemmen zu lassen und die Robbenbabys zu schnappen. Der Wecker klingelte früh am morgen und zusammen mit den ersten Sonnenstrahlen saßen wir an der Küste von Punta Norte. Die Ferngläser auf Augenhöhe, warteten wir geduldig mit Bick auf das Meer. Leider ohne Erfolg. So zogen wir weiter an die Bucht Playa Villarino – um uns herum die unterschiedlichsten Vögel – und liessen den Tag verstreichen.
Manni und Daggi gaben hier auf und kehrten der Pampa den Rücken zu, während der Frosch dem Kurs weiter folgte.
In Puerto Madryn holte uns die Wirklichkeit zurück. Wir erreichten die erste grosse Stadt seit Monaten genau zur Mittagszeit, und es herrschte rege Betriebsamkeit. Jeder hatte es eilig, um aus dem Büro zu hetzen und wir entdeckten längst vergessene Kleidungsstücke: Krawatten und Stöckelschuhe. Wir blickten an uns herunter und mussten feststellen, wie unpassend unsere Kleidung für die oberflächliche Gesellschaft, und wie uninteressant diese für uns geworden ist. Mittlerweile erfüllte sie für uns den einzig wahren Zweck: Wärme und Schutz. An Löchern, farblichen Diskrepanzen oder eingebrannten Flecken störten wir uns schon lange nicht mehr. Was beim waschen nicht rausgeht, bleibt einfach da wo es ist.
Inmitten des modischen Flanierens lächelten wir in uns hinein, und genauso mag es wohl auch den herausgeputzten Argentiniern gegangen sein. Und doch gönnten wir uns seit langem einmal wieder eine Wäscherei, die mir mit 60 Euro für 20 Kilogramm den restlichen Tag versaute. Da schrubb ich mir lieber bei eiskaltem Wasser die Hände wund. Im Supermarkt dann der gewohnte Schock an der Kasse. Ein kleiner Einkauf von Grundnahrungsmitteln schlägt mit 80 Euro zu buche – für einen kaum gefüllten Einkaufswagen. Da sind unsere momentanen Standardmenüs mit Bratwurst und Risotto wahre Luxusmenüs. Hinzu kommt noch das ständige Bangen, ob unsere Visa-Karte akzeptiert wird. Wie auch die Tankstellen nehmen die meisten Geschäfte nur Bargeld. Klingt nicht weiter tragisch, nur die Beschaffung grenzt an das Unmögliche. Geldautomaten sind kaum anzufinden und dann meist nicht gefüllt. Akzeptieren sie dann im Glücksfall die ausländische Karte, sind in Argentinien selbst in gossen Städten meist nur 1.000 Pesos zur Auszahlung möglich. Umgerechnet 65 Euro, zuzüglich 10 Prozent Gebühr.
Mittlerweile war es wieder richtig warm und der Ventilator im Laster lief auf Hochtouren. Die Winterkleidung konnten wir nun endgültig verstauen und genossen das herrliche Frühlingswetter. Es waren schöne Tage an einsamen Stränden.
Wir durchquerten eine Wüstenlandschaft und die Dünen reichten bis weit auf die Strasse. Immer schön Gas geben, um nicht stecken zu bleiben – bis wir die der Steilküste erreichten.
In La Loberia bestaunten wir eine der weltweit größten Robbenkolonien mit über 8.000 Tieren
und am Ende der Steilküste fanden wir am kilometerlangen Strand einen wunderschönen einsamen Platz, der ein besonders Spektakel zu bieten hat. In den Felsen nistet eine der grössten Papagei-Kolonien mit über 35.000 Höhlen. Laut „schnatternd“ sitzen sie in ihren Löchern, um mit ohrenbetäubendem Lärm in Schwärmen aufzusteigen und sich auf die Stromleitungen des Ortes El Condor zu setzten. Hoch über dem Ort steht der älteste Leuchtturm Argentiniens und von dort bietet sich ein kurioser Ausblick auf diese Leitungen, die sich unter der Last der Papageien dem Boden zuneigen.
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