12.12. – 22.12.2016

Unser Weg führte uns immer weiter an der Weinstraße entlang in Richtung Süden. Es wurde stetig heißer und staubiger – von den Trauben war bald keine Spur mehr. Dafür empfingen uns erneut die Anden mit ihren schneeweißen Bergrücken. Das einzige Lebenszeichen: Ein grüner Froschlaster, der einsam über die Ruta 40 rollte.Nur einen Monat später schiessen hier die abenteuerlichsten Rennmaschinen aus der Piste über die Fahrbahn und verwandeln die Wüste zum Spielplatz für die Rallye-DAKAR 2017.

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Völlig geplättet saßen wir im Laster, vertrieben uns die heißen Tage mit Fahren und waren jedesmal überglücklich, wenn die Sonne sich gen Horizont neigte und die Temperaturen auf ein erträgliches Maß sanken. In Millionen von Jahren haben die Fluten des heute fast ausgetrockneten Rio Ischiualasto Formen in den weichen roten Sandstein, den einfarbigen Lehm und der Vulkanasche herausgewaschen, und bilden heute eindrucksvolle Canyons. Nicht ohne Grund wird das Wüstental Sierra Pampeanas von den Einheimischen „Land ohne Leben“ genannt.

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Ausgezehrte Pferde kreuzten lebensmüde die Straßenseite

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 Vor 250 Millionen Jahren war der Canyon Aufenthaltsort von Dinosauriern. Hier wurden Fossilien des Lagosuchus Talampayensis entdeckt –  einer der ersten Dinosaurier, welche die Erde bevölkert haben – und verweilen heute als riesige Skelette am Strassenrand

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Einer Legende nach begab sich Maria Antonia Deolinda y Correa 1841 mit ihrem Säugling in die Wüste Argentiniens auf der Suche nach ihrem Mann, der im Bürgerkrieg von spanischen Soldaten verschleppt worden war. Tage später fand eine Gruppe von Maultiertreibern die Correa tot in der Wüste. Das Baby jedoch war dank der Muttermilch nicht gestorben: es lag saugend an der Brust der toten Mutter. Die Verehrung der Difunta Correa beruht auf dem Volksglauben und heute ist sie die Schutzheilige der Reisenden, von der katholischen Kirche jedoch offiziell nicht heilig gesprochen. Unzählige Schreine befinden sich am Straßenrand, an denen die Gläubigen Wasserflaschen zurücklassen, die ihren Durst stillen sollen.

mal kleinere

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und mal größere

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Besonders LKW-Fahrer verehren die Difunta Correa, die allein durch die grossen Weiten reisen und ihre Opfergaben hinterlassen.

Dank Difunta sind wir nicht verdurstet und haben die Wüste ohne Schäden überstanden. Am Fusse der Anden angekommen wehte uns ein herrlicher kühler Wind aus den hohen schneebedeckten Bergen entgegen.

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Die letzten Tage hatten uns einiges abverlangt und da kamen uns die Thermalquellen Pismata gerade recht. Wir buchten 30 Minuten Pool in der Spa-Landschaft und erhielten eine fensterlose, 4 Quadratmeter große und 5 Meter hohe, vollgeflieste Badelandschaft mit 40 Grad heissem Wasser.

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Keine 15 Minuten später lagen wir schon wieder auf der Wiese vor dem Laster und liessen uns von der kräftigen Brise der nahen 6–tausender wieder auf Normaltemperatur herunter kühlen.

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Der argentinische Grenzposten ist das einzige Gebäude weit und breit. Vom chilenischen Zollhäuschen keine Spur. Dieses befindet sich 120 Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Paso Agua Negra: Auf 4.780 Metern Höhe möchte keiner von beiden arbeiten. Der Pass ist wegen Schnee teilweise geschlossen und nicht passierbar, aber wir hatten Glück und durften unsere Fahrt fortsetzen. Eine frisch geteerte Straße führte direkt ab der Grenzstation in Richtung Chile, neben der wir 40 Kilometer lang nebenher durch eine Schlaglochpiste fuhren und des öfteren wehmütig hinüberblickten.

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Etwa eine Stunde später durften wir auf Asphalt wechseln und freuten uns tierisch darüber, nicht mehr durchgeschüttelt zu werden. Das argentinische Straßenbauamt hat das geschickt kalkuliert und uns eine Kurve später höflich zum Bremsen aufgefordert. Zwei freundliche Herren hielten uns ihre Kameras in den Laster und schon begann das TV-Interview zum Thema: „Wie finden sie die argentinischen Straßen?“ Nach einem großen Dankeschön für unsere Mitarbeit und den besten Wünschen für die weitere Fahrt entliess man uns

um nach der nächsten Kurve wieder auf einer einspurigen Naturstraße weiterzufahren. Enge Kehren führen uns weit hinauf, immer dem Schnee entgegen.

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Wie habe ich mich darauf gefreut, diesen besonderen Schnee zu sehen. Die ersten kleinen Spuren blitzten zwischen dem Geröll neben der Piste hervor, um wenig später in riesigen Feldern die steilen Hänge in wahre Kunstwerke zu verwandeln.

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 Büsserschnee werden die bis zu sechs Meter hohen Eispyramiden bezeichnet, welche nur in subtropischen Hochgebirgen zu finden sind. Unregelmässige Abschmelzung durch die Erosion des Windes, starke Sonneneinstrahlung mit gleichzeitig sehr geringer Luftfeuchtigkeit lässt diese spitzzackigen Skulpturen entstehen.

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Wir wanderten durch die Felder, erfreuten uns an der skurillen Landschaft, sprangen über die kleinen Schmelzflüsse, spielten verstecken und knabberten die Spitzen ab. Was für ein (S)Pass.

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Berauscht von Höhe und Erlebnissen verliessen wir den Pass in Richtung Grenzstation. Doch auch die Westseite machte uns sprachlos. Wir liessen die schneebedeckten Berge hinter uns und tauchten ein zwischen leuchtend bunte Berge, die uns zum Abschied an einer Lagune ein grandioses Zusammenspiel boten.

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Erst gegen späten Nachmittag rollten wir auf den chilenischen Grenzhof. Wir hatten dazugelernt, und kurz vorher noch Obst und Gemüse, samt Fleisch, Käse, Eiern und Honig in diversen Hohlräumen des Lasters verschwinden lassen.
Dann konnten die lustigen Spiele beginnen: Beamtin A verweigerte uns die Einreise, da wir für Romy keine Geburtsurkunde vorweisen konnten. Es folgten lange Diskussionen – so schön der Pass auch war, aber zurückfahren kam für uns nicht in Frage. Schliesslich gab A murrend nach und beendete das Theater mit einem Eintrag in unseren Daten in ihrem Computer und dem Verweis, unverzüglich in der Hauptstadt Santiago die Botschaft aufzusuchen um dort eine beglaubigte Kopie anzufordern. Beamte B war auch schon ganz heiss und liess verlauten, er möchte den gesamten Laster samt Kisten auf dem Dach zu inspizieren. Er habe viel Zeit. Und kletterte mit Thorben für die nächste Stunde aufs Dach. Beamte C durchsuchte derweil das Innere des Lasters und liess den nächsten Witz vom Stapel: Das Babygitter muss konfisziert werden. Kein chilenisches Holz! Also weg damit! Levi durfte ab sofort aus dem Bett fallen – Ordnung muss schliesslich sein. Die Lebensmittelkontrolle war gründlichst und alle Fächer und Schränke wurden durchwühlt. Nur der Kühlschrank wurde ausgelassen. War ich doch kurz vorher noch überzeugt davon, das beste Versteck sei das Geheimfach unter der Toilette. Stunden später war es durchstanden und wir begrüssten Chile das zweite mal. Schnell stiegen wir in unseren (vollholzverkleideten) Laster und flüchteten vom Hof bis ins nahe gelegene Örtchen Vicuña.

Das Valle del Elqui ist geprägt vom saftigen Grün der Reben inmitten der kahlen, kargen Wüstenlandschaft. Bis hoch zu den Kakteenhängen drängen sich die Felder des Tals hinauf – jedes bewässerbare Fleckchen bebaut mit Pisco-Trauben, aus denen der Nationalschnaps gewonnen wird.

An den wenigen Bäumen wächst wilder Pfeffer und wir befanden uns somit an einem Ort, wohin schon so manch unliebsamer Menschen gewünscht wurde

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DSC_1024Wir trafen dann auch tatsächlich alte Bekannte, worüber wir uns aber ganz im Gegenteil sehr freuten. In einem grossen, von hohen Mauern eingezäunten Parkplatz eines Hotels schlugen wir das neue Lager auf. Kein wirklich schöner Platz, aber zusammen mit Claudia, David, Alex und Kerstin erschien die Umgebung nebensächlich.

Dank des trockenen Wüstenklimas bietet die Umgebung an etwa 300 Nächten ein besonderes Schauspiel: Einen extrem klaren Sternenhimmel. Um die Lichtverschmutzung gering zu halten, wurden vor einigen Jahren sogar alle Straßenlaternen auf orangenes Licht umgestellt. Einige der modernsten astronomischen Observatorien der Welt richten in Chile ihre Teleskopaugen in das Universum. Gewöhnliche Sterbliche können die High-Tech-Anlagen nur nach teilweise monatelanger Voranmeldung besuchen. Hoch über dem Tal thront jedoch auch das Lehrobservatorium Mamalluca. Es verfügt zwar nur über ein 12–Zoll-Teleskop, eröffnetet dafür unkompliziert den Zugang zum Kosmos und dem südlichen Sternenhimmel. Als der Horizont die letzten Spuren der untergehenden Sonnen verschluckte, öffnete sich das Dach der Kuppel, und wir sahen die ersten Sterne aufblitzen. Koordinaten wurden eingetippt, und das Dach samt Teleskop fuhren laut ratternd in gewünschten Position. Mars, Jupiter, Saturn, Galaxien mit den kuriosesten Namen. Unser Führer, ein begeisterter Astronom, zeigte sie uns und erklärte alles bis ins kleinste Detail. Zu später Stunde verliessen wir die Kuppel und der Himmel wurde zur Leinwand für Teil Zwei: den Sternenbildern.

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In einem ausgetrockneten Flussbett verbrachten wir alle die Nacht und noch lange standen wir unter dem Schützen, den 12 Schwestern, einem rot leuchtenden Mars und waren schwer beeindruckt.

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Der Weg aus dem Tal führte direkt zur Küste. Bei Chile denkt man nicht unbedingt an Strandurlaub, und genau so präsentierte sich der erste Zugang zum Meer. Zwischen blühenden Kakteen fanden wir eine Piste direkt an den steinigen Strand, eingebettet zwischen zerklüfteten Felsen. Neben unzähligen einzelnen Schuhen schwemmte der Pazifik haufenweise Holz an Land und bescherte uns einen gemütlichen Abend am Lagerfeuer.

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Etwa 100 Kilometer weiter südlich lockte der nächste Strand mit einer grossen Überraschung. Feiner Sand in der grossen Bucht, und statt den dicken Winterpullovern wurde die Badekleidung ausgepackt. Das Wasser war wie es sich für den Pazifik gehört eiskalt, trotz alledem kam Urlaubsfeeling auf. Baby Levi krabbelte in alle Richtungen davon, ich wie immer hinterher, und für eine 5–Minütige Entspannungsphase konnte ich nun endlich mal ein tiefes Loch graben.

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Und schon lockte der nächste Pass. Also wieder rüber nach Argentinien. Durch Obstplantagen und Weinfelder stieg die Straße stetig an, bis sie in steilen Serpentinen übergeht. Der Andenpass Paso Los Libertadores gehört zu den spektakulärsten Südamerikas, der auf chilenischer Seite auf 8 Kilometern in 29 ungesicherten Kurven hinauf auf 3.175 Meter über dem Meeresspiegel führt.

Der Blick nach unten bot ein abenteuerliches Bild.

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Der Blick nach oben ebenfalls, dort thronte in seiner ganzen Pracht das Dach Südamerikas –  der Aconcagua –  mit stolzen 6.959 Metern, der höchste Berg der Anden

Kurz darauf passierten wir den Grenzübergang Cristo Redentor, der hinter einem langen Tunnel durch das mächtige Gebirgsmassiv am meisten frequentierten Übergang zwischen Chile und Argentinien liegt. Es war auch wirklich einiges los, und die Beamten sollten ihr Fach verstehen. Stattdessen konnten wir uns aus Chile ohne Auszustempeln rausmogeln.  Das kam uns sehr gelegen, nur Ungern hätten wir unsere Romy wegen der immer noch fehlenden Geburtsurkunde am Zoll stehen gelassen. Auf argentinischer Seite musste Thorben den kurz vor der Rente stehenden Beamten seinen Beruf erklären und ihm helfen, seinen Drucker zu finden.

Wenige Meter auf argentinischem Boden kamen wir zur Puente del Inca. Nur auf den zweiten Blick lässt sich ein durch Erosion gebildeter Felsbogen erkennen –  anders als der Name verspricht ist die Brücke kein Bauwerk der Inkas. Die Rot-Gelbe Färbung des Gesteins entsteht durch eine schwefelhaltige Quelle, die an der Brücke entspringt.

Die nächsten Tage dienten ausschliesslich der kulinarischen Landeskunde. Jeder noch so kleine Parkplatz ist mit grossen Grillstationen ausgestattet und wir ernährten uns ausschliesslich von kiloschweren Filets. Auch der gute Wein aus der hiesigen Weinregion Mendoza brachte die Verdauung ins Stocken und an Schlaf war erst spät in der Nacht zu denken. Der leere Tank und die sich langsam neigenden Lebensmittelvorräte retteten uns vor dem drohenden Cholesterin- und finanziellem Kollaps – und so zog es uns bald wieder zurück ins teuere, jedoch weitaus günstigere Nachbarland Chile.

Monatelang waren sie unser stetiger Begleiter, die zentralen Hochanden. Nun war die Zeit für gekommen, um Abschied zu nehmen. Die Berge gaben den Blick frei auf die weite Schlucht. Ein breiter Fluss verwandelte alles mit jedem Meter mehr in eine grüne Landschaft. Die ersten Bäume erschienen, dann ein ganzer Wald, Wiesen, kleine Holzhäuschen. Ein Vorgeschmack auf die nächsten Wochen im deutschen Süden von Chile!

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