22.12.2016 – 03.01.2017

Die Anden im Rücken, zukünftige Reisehöhe: Meeresniveau – dazu eine vierspurige Autobahn. Ergab in Kombination einen ungewohnt rasenden Frosch, der uns in nur einem Tag in den kleinen Süden von Chile beförderte.
Dort fühlten uns sofort heimisch. Es ist eine Gegend fast wie in Deutschland und man kann verstehen, dass viele Deutsche hierher ausgewandert sind. Frühlingswetter, bunte Blumen, grüne, saftige Wiesen, schwarz-weisse Kühe auf den Weiden, Werbeschilder für deutsche Agrarprodukte. In Deutschland zieht es uns ja eher in die Ferne, aber bei diesem Anblick kam nach über 1,5 Jahren in fremden Landschaften ein wenig Heimweh auf.

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Für die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage weit weg von Freunden und Familie machten wir es uns gemütlich. Ein liebes, älteres Ehepaar stellte uns eine große Wiese zur Verfügung und Ihre Küche wurde kurzerhand in eine Weihnachtsbäckerei umgewandelt.

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Einen eigenen Weihnachtsbaum gab es dieses Jahr nicht, auch dieser war nur ausgeliehen

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Unser grüner Laster wurde geschmückt und diente als würdevoller Ersatz. Der Weihnachtsmann hielt dies für angemessen und überraschte unsere beiden Reisekinder mit einem kleinen Gabentisch direkt unter der Motorhaube.

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Am 25. Dezember findet in Chile das eigentliche Weihnachtsfest statt (Heiligabend wird hier nicht gefeiert) – Luis und Maria versorgten uns mit lecker Hausmannskost, wuschen unsere Wäsche, überreichten uns, eine mit vielen Tipps markierten Strassenatlas für unsere weitere Reise und für die Kinder gab es eine zweite Bescherung. Eine unglaubliche Gastfreundschaft für vollkommen fremde Menschen.

 Nach ein paar schönen Tagen verliessen wir unser Domizil. Weit kamen wir aber nicht. Nur bis zu einem bayerischen Biergarten. In der eichengetäfelten Schankstube ließen wir uns Leberkäse mit Bratkartoffeln und Ei schmecken, während im Hintergrund deutsche Fünfziger-Jahre-Schlager aus dem Radio trällerten.

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An der Ausfahrt T. Schmidt wechselten wir über auf die Landstrasse. Zwischen den Bäumen blitzten schneebedeckte Berge hervor, die im Gegensatz zu den heimischen Alpen meistens Vulkane sind. Auf den schönsten von allen steuerten wir geradewegs zu: den Villarica. Er ist immer noch aktiv und seine stetige Rauchfahne erinnert daran, dass hier wohl nie völlige Ruhe einkehren wird.
Im gleichnamigen Örtchen Villarica fanden wir ein herrliches Plätzchen am See und eine Blumenwiese direkt vor der Tür. Wir schlenderten durch das gemütliche Örtchen welches ausserhalb vom Zentrum wohl in den Sechziger Jahren zum Stillstand gekommen ist, genossen den Flair, und entdeckten so manche deutsche Schriftzüge und Schmierereien.

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Pucon, eine 14.000 Einwohner Stadt, lebt vom Tourismus und dementsprechend viel war auch los. Der Blick auf die schönen Holzhäuser wurde getrübt von Souvenirständen, Geschäften mit Luxuskleidung, unzähligen Ausflugsagenturen und Menschenmassen, die sich daran vorbei schoben. Am Rathaus der Stadt warfen wir noch einen Blick auf die Vulkan-Ampel, die Anzeigt ob Gefahr droht oder nicht

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und folgten der Ruta de siete Lagos durch das Seengebiet – auch kleine Schweiz genannt. An jedem See wurde halt gemacht, und von unseren Kinder ausgiebigst erkundet und genossen. Die Sonne lachte am wolkenlosen Himmel und das Wasser hatte Badewannentemperatur.

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Zwischen den Seen führen ruppige Straßen direkt in den Nationalpark Villarica. Eine kleine unscheinbare Piste führt immer weiter in die dichten Wälder hinein, unter schmalen knarzenden Brücken rauschen Wildbäche. Ein ewiges bergauf bergab, bis unser Tank das untere Limit erreichte und wir jeden Berg rückwärts hochfahren mussten. Da die Welt erfahrungsgemäss manchmal ganz schön klein ist, trafen wir mitten im Wald unseren Reisebekannten Christian, der uns spontan 20 Liter Diesel zur Verfügung stellte und die Reise wieder Vorwärts weitergehen konnte; in einer einzigartigen Flora und Fauna: riesige wuchernde Farne und hoch oben auf den Berghängen die mächtigen, geschützten Araukarien-Bäume, denen die Region ihren Namen verdankt. 

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Die chilenischen Araukarien, auch Chile–, Andentanne oder Affenschwanzbaum genannt, sind immergrüne Bäume, mit spiralförmigen, spitzzackigen Blättern und zählen zu den Dinosauriern unter den Pflanzen mit einer Geschichte, die sich ungefähr 90 Millionen Jahre zurückverfolgen lässt. Als eine der ältesten Baumfamilien überhaupt. Der Affenschwanzbaum kann jedoch nicht nur auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken, sondern erreicht auch einzeln betrachtet ein sehr hohes Alter. Die Rede ist hier von 1.500 – 2.000 Jahren. Die Früchte der Andentanne dienen den einheimischen Indiostämmen in Südamerika als wichtiges Nahrungsmittel. 

Nachdem wir die wunderschöne Landschaft rund um die Straße der sieben Seen ausreichend erkundet hatten, fuhren wir weiter an den Lago Llanquie – der zweitgrösste See Chiles. Um 1850 kamen mehrere tausend deutsche Auswanderer in den spärlich besiedelten Süden und gründeten unter anderem das Bilderbuchstädtchen Frutillar. Frutillar wird auch Stadt der Deutschen genannt, was anhand von Giebeldächern und den gepflegten Vorgärten nicht zu übersehen ist. Eine Seebrücke führt auf den See hinaus und bei gutem Wetter kann man eine herrliche Aussicht auf die vielen schneebedeckte Vulkane geniessen, dominiert vom mächtigen Osorno.

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Hoch oberhalb des Dorfes stellten wir unseren Laster auf einer grossen Wiese ab und hatten eine sensationelle Aussicht. Kühe grasten mit einigem Abstand auf der Wiese um uns herum, während Entenfamilien keine Scheu hatten und sich bei uns niederliessen. 

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Täglich suchten wir den Ortskern auf, um uns mit der lokalen Spezialität zu befassen: Kuchen. An jeder Ecke locken Schwarzwälder Kirsch-Torte und Apfel-Streusel.

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In den letzten Wochen waren wir etwas schneller als gewohnt unterwegs – der kurze Sommer währt in Patagonien nur von Mitte Dezember bis Februar – und wir machten weiter Strecke nach Puerto MonttEs war der 31. Dezember und wir schlenderten durch das rustikale Städtchen. Die Tage und Nächte wurden merklich kühler, je mehr wir Richtung Süden fuhren. Auf dem Markt am Hafen deckten wir uns mit herrlich warmen Stricksachen ein, bevor wir uns zur Feier des Tages seit langem einmal wieder auf einem Campingplatz niederliessen – mitten im Garten der sympathischen Chilenen Ferdy und Santy, die uns sofort herzlich in ihre Gemeinschaft aufnahmen.

Zusammen mit einer Gruppe Franzosen schlemmten wir zum Einstimmen leckere, selbstgemachte Empanadas, bevor es zum Silvestermenü überging: Lamm aus dem Ofen, Kartoffeln und Salat. Und viel guten Wein. Der Abend verging wie im Flug. Baby Levi verschlief seinen ersten Jahreswechsel, Romy dagegen hielt wie gewohnt tapfer durch. Punkt zwölf wechselten wir von der Terrasse in das gemütliche Holzhaus und stiessen mit Sekt an. Der Himmel über Puerto Montt war grau und dunkel, wie in jeder anderen Nacht auch. Das Feuerwerk spielte sich im Fernseher ab, live aus Valparaiso, der in diesen Minuten in den Mittelpunkt rückte. Danach brannte Valparaiso. Mal wieder.

Eine kurze Fährüberfahrt später befanden wir uns auf der Insel Chiloé. Die Isla Grande de Chiloé ist die grösste Insel des Landes. Hauptattraktion sind Meeresfrüchte, und über hundert alte Holzschindelkirchen. Auf dieser Insel scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Im Gegensatz zum Festland herrscht hier ein rauheres Klima. Nicht nur das Wetter betreffend. Das spielt nämlich verrückt. Sonnenschein, Regengüsse. Im 5-minütigen Wechsel. Und das tagelang. Ihre Bewohner, Chiloten genannt, haben sich gegenüber dem Rest Chiles einen besonderen Charakter und sind ebenfalls gewöhnungsbedüftig. Alle Restaurants und Geschäfte sind geschlossen, am Strassenrand liegen Betrunkene oder krabbeln den Gehweg entlang. Oder sie baden stundenlang vergnügt im Meer – bei Aussen- und Wassertemperaturen jenseits von Gut und Böse.

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Unseren ersten Stopp machten wir an der wilden Westküste, und gruben uns an einem schönen ruhigen Plätzchen ein: Zwischen den Dünen, mit Blick auf den wilden Pazifik.

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Castro, die Inselhauptstadt, lud uns auf Entdeckungsreise ein. Rund um den Hafen gruppieren sich die vielen bunten Pfahlbauten, oder auch Palafitos genannt. Die Uferhäuser sind aus einfachstem Holz – die farbigen Fassaden stark vom Wetter gezeichnet. Von der Vorderseite erscheinen sie als unscheinbare Häuserreihen, die Rückseite birgt jedoch eine Attraktion.

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Zwischen den Stelzenhäusern lädt der lokale Markt ein, sich mit vor allem auf der Insel gewachsenen und hergestellten Lebensmitteln einzudecken. Zwischen dem bekannten Angebot wie Eiern, Milch, Käse und Kartoffeln blitzen so manche kuriose Einzelstücke heraus. Getrocknete Muscheln und gepresster Seetang. Eine besondere Spezialität sind die getrockneten Algen. Schmeckt lecker und ist gesund wurde mir erzählt. Ich biss herzhaft in eine nach Fisch riechende,  trockene schwarze Gurke – und schluckte höflichkeitshalber runter statt auszuspucken. 

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Auf der Ruta de Iglesias reihen sich Holzschindelkirchen mit ihren markanten Wellblechdächern aneinander, von denen einige auch von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Deren Besonderheit ist, dass sie ohne einen einzigen Nagel gefertigt sind – und irgendwie alle gleich aussehen. In dem kleinen unscheinbaren Dorf Quellon Vuejo besuchten wir eine für Chiloe typische Holzkirche vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Auf dem angeschlossenen Friedhof ist eine exakte Nachbildung der Dorfkirche in verkleinerter Form zu finden, das Grabmal des ersten Geistlichen des Dorfes.

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Die Erde bebt hier des öfteren ziemlich heftig, und erst wenige Tage vorher gab es ein starkes Erdbeben der Stärke 7,6 mit gleichzeitiger Tsunamiwarnung für die Westküste des Landes. Es gab trotz des heftigen Bebens glücklicherweise keine Todesopfer und die eingebrochenen Strassen auf dem weiteren Weg Richtung Süden waren pünktlich wieder befahrbar. Das wäre was gewesen – auf den letzten Metern der Panamericana umkehren zu müssen.

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Fin Paviement steht am Strassenrand, der Aspalt geht in Schotter über, und wenige Meter später thront ein Monument am Ufer der Landspitze auf. Und dann ist einfach so Schluss mit der längsten Strasse der Welt.  

„In Quellón, Chile, beginnt die wichtigste Strassenverbindung, die wie eine Nabelschnur von 22.000 Kilometern die drei Amerikas verbindet. Dies hier ist der Markstein Null. Der Beginn oder das Ende der Carretera Panamericana, die 12 Länder mit unterschiedlichen Völkern und Kulturen durchquert und in Anchorage, Alaska, endet.“

So jedenfalls steht es auf dem Schild am Endpunkt der Ruta 5 in einem kleinen Nest Punta de Lapa ist Schluss, die in Chile den letzten Teil der Panamericana bildet.  

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Die Fahnen wehen im Wind, und mit dem Anblick der Flagge Alaskas wurde es melancholisch. In einem Halbkreis sind alle Länder auf kleinen metallenen Schildchen abgebildet, die wir durchfahren haben. Einige Flaggen fehlen und erinnern wohl nun andere Reisende an Ihren grossen Traum. Bedächtig schritten wir umher und uns wurde hier so richtig bewusst, was wir geschafft haben. 16 Länder, alle voll mit Emotionen und Erfahrungen. Auch wenn wir des öfteren Fremdgefahren sind, war sie unser Leitfaden. So nahmen wir mit einem dicken Kloss im Hals Abschied von unserer Traumstrasse.

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Das Ende der Panamericana bedeutete gleichzeitig den Beginn einer neuen Traumroute weiter in Richtung Süden. Die Carretera Austral. Den letzten Tag verbrachten wir oberhalb der Hauptstadt, mit einem schönen Blick auf die Bucht mit den unzähligen Fischerbooten.

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 Am frühen morgen setzten wir vom Osten der Insel mit der Fähre wieder aufs Festland über, bereit für Patagonien.

 

      

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